Was eine Redakteurin erlebte

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AZ-Report: Vom Schicksal, in München eine Wohnung zu suchen

Emiliy Engels, 11.06.2019 - 06:15 Uhr

Entmutigend und entblößend: Wie schwierig die Wohnungssuche in München ist, hat AZ-Rathausreporterin Emily Engels erlebt. Foto: Daniel von Loeper

Horrende Preise, schimmelige Wände und arrogante Makler sind bei der Wohnungssuche in München Alltag. Ein (notgedrungener) Selbstversuch.

 
 

München – Klitschnass vom Regen und völlig erschöpft werfe ich mich auf die Couch der Freundin, bei der ich diese Woche übernachte. "Ich gebe auf", sage ich. "Du kannst so lange auf meiner Couch wohnen, wie du willst", tröstet sie mich. Drei Tage bin ich nun schon auf Wohnungsjagd. Bis zu zehn Stunden täglich bin ich von Termin zu Termin gehetzt. Eine Zusage ist noch nicht in Sicht.

Wenn Deutschland ein Monopoly-Feld wäre, dann wäre München definitiv die Schlossallee. Dass es nirgendwo schwieriger (und teurer) ist, eine Wohnung zu finden, ist schließlich weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt.

Doch hohe Mieten scheinen mich leider magisch anzuziehen. Nach dem Abi in München habe ich in Amsterdam und London gewohnt – und zuletzt als "Ausreißer" in Magdeburg. Obwohl die Mieten in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt im Vergleich spottbillig sind (6 Euro Warmmiete pro Quadratmeter), zieht es mich zurück ins schöne – aber eben auch schön teure – München.

 

"Nur noch" eine Wohnung in München

Den Job bei der Abendzeitung habe ich schon. Jetzt brauche ich "nur noch" eine Wohnung. Meinen ersten Termin habe ich in Schwabing.

In der Wohnung riecht es angenehm nach Wachs – wahrscheinlich die Politur des nagelneuen Holzbodens. In der Wohnung eingebaut ist eine genauso neue Küche – wie der Holzfußboden alles bio und frei von Schadstoffen, versichert mir die Vermieterin.

Die Wohnung ist auf den ersten Blick so toll, dass mein kritisches Ich nach dem Haken sucht. Es gibt (neben dem horrenden Quadratmeterpreis von – kein Scherz – 31 Euro warm) gleich zwei. Der erste: Die Vermieterin wohnt selbst im Gebäude und hat ein Stockwerk über der Wohnung ihre Anwaltskanzlei. Der zweite: Sie möchte meinen Freund erst persönlich kennenlernen und dann entscheiden, ob wir einziehen dürfen.

Als ich ihr sage, dass der gerade geschäftlich in London unterwegs ist und ihr ein Videogespräch anbiete, sagt sie ohne mit der Wimper zu zucken: "Das reicht nicht. Wenn Sie ernsthaftes Interesse haben, soll er morgen früh halt schnell herfliegen." Abends schreibe ich eine E-Mail an die Vermieterin – und sage ab. Ein gutes Gefühl habe ich dabei nicht. Aber meinen Freund aus London herzubestellen, um dann mit unserer Vermieterin für eine selbst für München maßlos überteuerte Miete unter einem Dach zu leben? Nicht wirklich ideal.

Außerdem habe ich am nächsten Tag einen hoffnungsvollen Termin: Eine Freundin zieht aus ihrer Wohnung am Kolumbusplatz aus. Sie zahlt für 60 Quadratmeter nur 750 Euro. Eine öffentliche Besichtigung gab es noch nicht. Ich male mir deshalb große Chancen aus, als ich zur Immobilienagentur gehe.

Losverfahren ohne genaues Datum: Null Planungssicherheit

Dabei habe ich eine dicke Bewerbungsmappe, in der ich persönlichste Informationen wie Arbeitsvertrag, Schufa-Auskunft, Gehaltsnachweise und sogar Kontoauszüge von mir und meinem Freund offenlege. Gut geht es mir dabei nicht. Aber ich weiß auch, dass ich sonst keine Chancen habe.

"Wir entscheiden dann per Los", heißt es von der genervten Mitarbeiterin, als ich ihr meine Mappe zustecke. Wann ausgelost wird, verrät sie nicht. Also null Planungssicherheit.

Im Laufe des Tages sehe ich Wohnungen, die gerade eine unbetretbare Baustelle sind, da sie komplett modernisiert werden (Mietpreisbremse ade). Und ich sehe vollmöblierte Wohnungen, bei denen die abartig hässliche Einrichtung für satte 6.000 Euro abgelöst werden soll. Aber ich sehe auch echte Traumwohnungen. Doch entsprechend hoch ist da nicht nur die Miete, sondern auch der Bewerbungsstapel.

Um unsere geringen Chancen zu erhöhen, verfasse ich ein Motivationsschreiben. Darin beschreibe ich meinen Freund und mich als die perfekten Mieter (zuverlässig, ruhig, viel Arbeit und umso weniger Partys). Dementsprechend spießig ist auch unser Bewerbungsfoto, auf dem wir in biederer Kleidung einen Spaziergang machen und uns dabei – fürs Foto gestellt – übertrieben glücklich zulächeln.

Doch obwohl es für Wohnungssuchende in München dringend empfohlen wird, merke ich schnell, dass ein solches Schreiben für Vermieter ziemlich egal ist. Es geht ihnen vor allem um eines: ums Einkommen.

Ich suche nicht nur auf Wohnungsportalen, sondern auch in den sozialen Netzwerken. Dort finde ich zwar keine Wohnung, dafür aber Suchanzeigen unserer Konkurrenz. Und die ist entmutigend: Gegen Pärchen wie sie (28, Zahnärztin) und ihn (30, Lufthansa-Pilot), die auf der Suche nach einer hübschen Altstadtwohnung mit Balkon sind und bis zu 2.500 Euro kalt bezahlen können, haben wir keine Chance.

Britischer Freund wird zum Nachteil: "Zu unsicher wegen Brexit."

Eine Zahnärztin und ein Pilot müssen sicher nicht ihren Job erklären. Ich muss das bei den Besichtigungen schon ("Journalist, kopiert man da nicht einfach alles aus dem Internet?" Oder: "Braucht man das überhaupt noch?"). Dass mein Freund Engländer ist, hilft nicht ("Das ist uns zu unsicher mit dem Brexit. Der verlässt doch bald wieder das Land.").

Mit jeder Besichtigung schrumpft mein anfänglicher Optimismus. Deshalb stopfe ich in den Mittwoch noch mehr Besichtigungstermine. Teilweise im 30-Minuten-Takt sehe ich mir Wohnungen an. Ich stehe schon um 5 Uhr morgens auf, um einen Stapel neuer Bewerbungsmappen auszudrucken. Der ist so groß, dass ich zwei Farbpatronen verbrauche.

Unter Zeitdruck laufe bei jeder Besichtigung einmal schnell durch die Wohnung und gebe meine Mappe ab. Nur eine Wohnung bleibt mir vor lauter Termin-Hektik im Gedächtnis – und zwar nicht im positiven Sinne. Es ist eine der letzten Besichtigungen an dem Tag. Die Wohnung am stark befahrenen Teil der Tegernseer Landstraße wird als Drei-Zimmer-Wohnung beschrieben.

Dass sie vergleichsweise bezahlbar ist (15 Euro warm pro Quadratmeter, ein echtes "Schnäppchen"), sieht man: Ich stehe trotz Termin fast eine Stunde für die Besichtigung an, 30 Minuten davon im Regen (die Warteschlange geht aus dem dritten Stock bis nach draußen).

Arroganter Makler: "So finden Sie keine Wohnung in München."

Die Straße ist wahnsinnig laut, es regnet im Strömen. Vor mir steht eine Mutter mit weinendem Baby auf dem Arm. Im Gespräch finde ich heraus, dass sie alleinerziehend ist und verzweifelt eine neue Bleibe sucht.

Total durchnässt werde ich in der Wohnung von einem Immobilienmakler, der in seiner Arroganz nicht mehr übertroffen werden kann, empfangen. Das in der Anzeige als "lichtdurchflutetes Raumwunder" beschriebene Objekt der Begierde stellt sich als enges, dunkles Loch mit schimmeligen Wänden heraus.

Als ich nach dem dritten Raum frage, verweist mich der Makler auf ein Kabuff, in dem ich mit meinen 1,65 Metern kaum aufrecht stehen kann – und das verdächtig an Harry Potters Besenkammer erinnert. "Das ist ja wohl ein Scherz", platzt es aus mir heraus. Der Makler nimmt seinen Stift und streicht meinen Namen auf der mehrseitigen Liste durch. "So finden Sie keine Wohnung hier", belehrt er mich und ruft den nächsten Namen auf. In seiner Position kann man nur überheblich werden, denke ich mir.

Ich laufe zurück zu meiner Freundin, trinke mit ihr eine Flasche Trost-Wein – und plane bereits, ein paar Monate auf ihrer Couch zu hausen. In keiner anderen Stadt hat mich die Wohnungssuche so heruntergezogen wie in München.

"Sagen wir mal so, es könnte mehr Geld sein"

Am nächsten Tag gehe ich trotzdem zu acht weiteren Besichtigungen. An die Wohnungen kann ich mich wieder kaum erinnern. Nur an entmutigende Sätze wie: "Ihr Partner ist Freiberufler? Ganz schwierig" oder "Sagen wir es mal so: Es könnte mehr Geld sein, das Ihnen gemeinsam zur Verfügung steht".

Doch dann klingelt plötzlich mein Handy. Wir wurden tatsächlich von einem Vermieter ausgewählt! Schnell schaue ich mir die Wohnung noch mal im Internet an – bei so vielen Bewerbungen habe ich den Überblick verloren.

Die Fliesen im Bad könnten weniger grün sein, die Wohnung insgesamt deutlich moderner und die Miete natürlich (wo nicht in dieser Stadt?) niedriger. Aber die Wohnung ist ruhig gelegen, in direkter S-Bahn-Nähe, hat einen Balkon und einen schönen Innenhof. Und die Hauptsache: Es ist eine Wohnung in München.

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